19.10.2022
In die Zukunft sehen zu können – wer hat sich das noch nicht gewünscht? Vor allem im Geschäftsleben hängt oft viel Geld ab von Entscheidungen, die man auf Annahmen treffen muss. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Technologien, die versuchen, die Zukunft auf Basis bekannter Daten zu ergründen beziehungsweise vorhersehbar zu machen – was auf Englisch „predictive“ heißt.
Eine dieser Technologien, die auch zur Industrie 4.0 dazugerechnet werden, ist Predictive Analytics und die darauf basierende Predictive Maintenance. Dazu werden beispielsweise von einer Maschine – oder idealerweise einem ganzen Park gleichartiger Maschinen – laufend Daten von Sensoren aller wichtigen Komponenten, Lager und Antriebe gesammelt und in einem sogenannten Data Lake abgelegt. Ebenso lassen sich Werkzeuge, beispielsweise Bohrer oder Fräser überwachen.
1. Eine künstliche Intelligenz (KI) untersucht diese Daten und Informationen dann auf Unregelmäßigkeiten und Abweichungen vom Normalbetrieb. Stumpf werdende Bohrer und Fräser lassen sich beispielsweise durch steigende Schnittkräfte und damit steigende Stromaufnahme der Spindel erkennen. 2. Eine andere Möglichkeit ist das Aufzeichnen der Vibrationen während der Bearbeitung durch Sensoren. Ändert sich deren Muster, kann dies auf stumpfe oder beschädigte Werkzeugschneiden hindeuten. So lassen sich Defekte oder Qualitätsprobleme erkennen, lange bevor tatsächlich ein Ausfall oder ein Problem entsteht. Predictive Maintenance macht sich diese Erkenntnisse zunutze, um die Wartung rechtzeitig vor dem Ausfall einzuplanen und beispielsweise in einer Arbeitspause durchzuführen. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Instandhaltung aus.
Data Lakes sind Datenspeicherungs-Lösungen, die besonders für große Datensätze geeignet sind. Sie sind in der Lage, völlig neue Echtzeitanalysen zu ermöglichen. Ihre hochskalierbare Umgebung unterstützt extrem große Datenmengen und nimmt Daten und Informationen in ihrem nativen Format aus verschiedenen Datenquellen auf.
Die Abweichungen, die es für Predictive Analytics zu erkennen gilt, sind oft nur marginal und zudem nicht einfach zu identifizieren. Eine KI lernt zunächst den „Normalzustand“ der Daten und erkennt dann Abweichungen davon. Sie kann dann auch Alarm geben, es ist aber nicht klar, was denn hinter der Abweichung steckt. Dementsprechend oft wird es zu Fehlalarmen kommen. Um tatsächlich trennscharf zu erkennen, welchen Grund eine Abweichung hat, benötigt die KI Beispiele, also Abweichungsmuster, bei denen der Grund bekannt ist.
Diese lassen sich nur generieren, indem man eine Maschine so lange weiterfährt, bis beispielsweise das Lager defekt oder der Bohrer erkennbar stumpf ist. Dann kann die KI aufgrund des Verlaufs der Muster auch die Ursache nennen und die Wichtigkeit der Abweichung bewerten. Diese vorausschauende Wartung ist unter anderem auch wichtig für die Industrie 4.0. Grundproblem ist die Unterscheidung von wichtigen und unwichtigen Abweichungsmustern. Ein Beispiel für eine unwichtige Abweichung ist, wenn sich durch die Temperaturschwankungen in einer Fertigungshalle die Lagertemperaturen mit der Jahreszeit verändern. Diese Veränderungen erkennt die KI natürlich, eine gut trainierte KI versteht aber den Zusammenhang mit der Außentemperatur und verzichtet auf einen Alarm. Unterscheidet sich eine Lagertemperatur in ihrem Verlauf von dieser Änderung, schlägt die KI Alarm. Das Beispiel zeigt: Das Training einer KI, um zuverlässig in die Zukunft schauen zu können, erfordert viele Daten, die entweder in langen Versuchsreihen oder in einer großen Anzahl von Maschinen gewonnen werden können. Ein Maschinenhersteller, bei dem Daten aller seiner Maschinen zusammenlaufen, die bei Kunden betrieben werden, wird eine ausreichende Datenmenge schneller sammeln können als ein Kunde, der nur eine oder wenige solcher Anlagen betreibt. Das Sammeln und Analysieren von Maschinendaten bringt also Vorteile für alle Nutzer einer solchen Maschine.
Vor allem ermöglicht es die Datensammlung über eine ganze Maschinenbaureihe hinweg dem Hersteller, Schwachstellen an der Maschine zu erkennen. Tritt an vielen Maschinen derselbe Defekt auf, deutet dies darauf hin, dass das betreffende Bauteil unterdimensioniert oder falsch ausgelegt ist. Über IoT lassen sich solche Schwachstellen früh erkennen und beispielsweise durch einen Austausch auf Kulanz auch bei Maschinen beseitigen, bei denen der Defekt noch in weiter Ferne liegt. Natürlich macht es auch Sinn, innerhalb eines Unternehmens Zustandsdaten zu sammeln. So lassen sich beispielsweise Standzeiten von Werkzeugen minutengenau erfassen und bei einem Wechsel des Lieferanten genau verfolgen, wie sich die neuen Werkzeuge im Vergleich zu den bewährten Fräsern oder Bohrern verhalten.
Anspruchsvolle Kunden von Lohnfertigern im Zerspanungsbereich fordern Daten zur Maschinenverfügbarkeit, um ihre fragilen Lean-Production-Prozessketten abzusichern. Hier bietet Predictive Analytics die Möglichkeit, zum einen aus dem aufgelaufenen Datenberg die relevanten Daten automatisch zu extrahieren. Zum anderen erlaubt es Predictive Maintenance, ohne übergroßes Risiko Liefergarantien für die Zukunft geben zu können.
Durch die Überwachung der Maschinenparameter ist es möglich, einen kommenden Defekt zu erkennen, lange bevor dieser akut wird. Damit werden vorbeugende Wartungsarbeiten überflüssig, beispielsweise das Wechseln von Antriebsriemen nach einer bestimmten Anzahl von Betriebsstunden. Das Ziel der Predictive Maintenance ist es nun, den Servicebedarf so früh zu erkennen, dass man Zeit hat, die notwendigen Ersatzteile, Hilfsmittel und Ressourcen zu beschaffen und optimalerweise so viel Spielraum behält, dass man die Wartung in eine Neben- oder Pausenzeit legen kann, in der die Maschine nicht benötigt wird. Predictive Maintenance ermöglicht Servicemodelle, bei denen der Hersteller die Maschinen überwacht und den Service selbsttätig initiiert. Das kann dann beispielsweise über eine Servicepauschale abgedeckt werden. Der Nutzer der Maschine hat den großen Vorteil, dass er sich auf seine Maschine verlassen kann. Diese wird gewartet, wenn Zeit ist und ist immer im optimalen Zustand.
Der präventive Service, bei dem in festen Intervallen Teile getauscht werden, bedeutet dementsprechend auch: Viele Bauteile werden vorschnell getauscht. Der Hersteller wird die Serviceintervalle immer so bemessen, dass das Teil mit allergrößter Wahrscheinlichkeit bis zum Ende des Intervalls optimal funktioniert. Dann ist aber – nach dem Gesetz der Statistik – bei vielen individuellen Teilen das Ende der nutzbaren Lebensdauer noch nicht erreicht. Mit Predictive Maintenance lassen sich Bauteile gezielt bis an ihr Lebensende nutzen – kurz vorher wird getauscht. Damit verlängert sich die nutzbare Lebensdauer, die Teile müssen seltener getauscht werden, damit sinken die Betriebskosten und nicht zuletzt freut sich die Umwelt, wenn Teile tatsächlich bis zum Ende genutzt werden. Predictive Analytics und Maintenance sind komplexe digitale Werkzeuge, die aber vor allem in hochkritischen Produktionsumgebungen viel Sinn machen und Vorteile bringen. Für Maschinenhersteller bieten sie die Möglichkeit, dem Kunden mit neuen Geschäftsmodellen handfeste Vorteile zu bieten.